Wildtieraufzucht – Text von Stefanie Huck (Retscheider Hof) 

Warum es so schwierig ist, uns bei der Aufzucht der Wildtiere aktiv zu helfen: Immer wieder bekommen wir Angebote wie "Wenn Sie mal was zu viel haben, kann ich auch das ein oder andere Tierchen nehmen zum Aufpäppen" - oder "Ich kann Euch was abnehmen, darf es auch zur Arbeit mitbringen". Das ist zwar sicher alles lieb gemeint, aber so funktioniert das nicht - zumindest nicht bei uns. Ich möchte deshalb heute mal aus der Sicht des Pflegers versuchen, ein klein wenig Einblick und auch Erklärungen zu geben, warum wir solche Unterstützungsangebote in der Regel nicht annehmen können.

Bei uns ist die Vorbereitung zur Auswilderung eine der obersten Prioritäten. Was ein Tier auswilderungsfähig macht, ist ja nicht nur die körperliche Beschaffenheit. Es muss draußen auch zurecht kommen. Will heißen: es muss in der Lage sein, Nahrung zu finden. Wir müssen also in der Nahrungsprägephase, die ein knappes Zeitfenster im Welpenalter einnimmt, das füttern, was später zum natürlichen Beutesprektrum gehört. Das erfordert umfangreiche Kenntnisse zur Nahrungsaufnahme der einzelnen Arten und die Verfügbarkeit solcher Futtermittel - nicht jeder hat zuhause drei große Tiefkühltruhen mit jeder denkbaren Art von Futter zur Verfügung.

Welpen müssen mit Artgenossen interagieren und kommunizieren können. Das geht nur, wenn sie mit Artgenossen zusammen aufwachsen. Einzelaufzuchten sind stark fehlgeprägt, was später unter Umständen auch gefährlich für den Menschen werden kann. Die wenigstens Menschen haben aber tatsächlich ausreichend Platz für mehrere Welpen der Arten, wie wir sie hier auf dem Retscheider Hof aufziehen. Füchse und Wohnzimmer - das geht nicht zueinander. Gleiches gilt - natürlich - auch für den Kontakt zu Haustieren. Die ordentliche Aufzucht von Wildtieren erfordert daher deutlich mehr Platz und trennbare Räumlichkeiten, als sie den meisten Menschen zur Verfügung stehen.

Der Kontakt von jungen Wildtieren zu Menschen muss auf ein Mindestmaß und nach Möglichkeit auf nur ganz wenige Personen - am besten eine! - beschränkt werden, um die Aufzucht nicht zu stören. Sind mehrere Pfleger an ein und dem selben Tier, fallen häufig auch Krankheitssymptome nicht rechtzeitig auf, so dass oftmals zu spät reagiert wird. Viele wechselnde Betreuer bedeuten zudem: Tiere gewöhnen sich schneller an die Nähe des Menschen. Wenn ein ausgewachsenes Eichhörnchen einem Menschen hinterher läuft, ist die Akzeptanz sicher größer, als bei einem Marder oder einem Reh. Solche Prägungen gilt es deshalb unbedingt zu vermeiden! Deshalb können wir auch innerhalb der Station nicht auf ständig wechselnde Betreuer für die Tiere zurückgreifen - in der Regel lernen die Welpen tatsächlich nur einen einzigen Menschen als wirkliche Ersatzmutter kennen. Das ist auch einer der Gründe, warum wir in der Jungtiersaison nur Fachpublikum wie Behörden oder Veterinären Zugang zu den Aufzuchtbereichen geben.

Ein Hin- und Her-Transportieren von Welpen lehnen wir aus vielen guten Gründen ab. Kein Muttertier zieht seine Jungtiere mehrfach am Tag um. Generell bedeutet ein Standortwechsel sowohl für das Muttertier, als auch für die Welpen Gefahren und echten Streß. Neue Umgebung, neue Gerüche, neue Geräusche: Wer Jungtiere ständig transportiert, gefährdet die Tiere und stumpft ihre natürlichen Fluchtinstinkte ab. Ein Fluchtverhalten z.B. bei herannahenden Autos ist dann oft nicht mehr gegeben.

Ausreichende Hygiene oder Quarantäne lassen sich nur realisieren, wenn die entsprechenden Räumlichkeiten vorhanden sind und Tiere nicht beständig transportiert werden. Schwangere Frauen oder kleine Kinder gehören nicht in die Nähe von Wildtieren.

Wenn Ihr/Sie bis hier hin aufmerksam mitgelesen haben, dann steigen wir jetzt mal kurz in die Arbeit des Pflegers ein. Die Hauptarbeit des Pflegers besteht darin, kleinen Tieren den Hintern zu putzen, größeren ständig die Unterkünfte aufzuräumen und mit Kot und Urin verschmutzte Unterlagen zu wechseln. Hygiene ist eine der wichtigsten Aufgaben bei der Aufzucht. Dabei werden auch gleichzeitig alle Tierchen in Augenschein genommen. Kuschel-Programm gibt es bei der Wildtieraufzucht nur in ganz wenigen Ausnahmefällen. Spätestens, wenn Welpen vergesellschaftet sind, ist dafür ohnehin kein Raum mehr. 
Meist beginnt die Saison mit einem Fütterungsintervall von 2 Stunden - und zwar rund um die Uhr. Wann wird geschlafen? Dazwischen: hier ‘ne Stunde, da ‘ne Stunde. Mit etwas Glück ist man recht schnell auf einem drei Stunden Intervall, es bleibt aber bei Einsatz rund um die Uhr. Kommt ein stark mitgenommener Notfall rein, reduzieren sich die Ruhephasen noch weiter.

Für eine reguläre Erwerbsarbeit bleibt da keine Zeit - auswärtige Berufstätigkeit und Wildtieraufzucht schließen sich vollständig aus. Wildtierpflege ist kein 8-Stunden-Job und wird auch nicht bezahlt - bei uns ist das reines Ehrenamt. Wir finanzieren mit Spenden nicht die Arbeit von Menschen.

Wer also ernsthaft in der Aufzucht und Pflege von Wildtieren - im Speziellen der Raubsäuger - hier einsteigen möchte, der kann sich gerne nach dieser Saison auf die kommende Jungtierzeit im Jahr 2018 vorbereiten, am besten über den gesamten Winter. Zu versorgende Patienten sind fast immer hier. Wenn danach noch jemand Lust hat, sechs oder acht Wochen rund um die Uhr zur Verfügung zu stehen, kann er auch gerne eine Gruppe zur Aufzucht übernehmen und zwar hier vor Ort.

Es mag sein, dass wir hier ein sehr strenges und eng gezurrtes Konzept haben. Unsere Aufzuchten geben uns aber recht, dass es nur so und nicht anders gehen kann. Aus den vorgenannten Gründen freuen wir uns um so mehr um jedwede Unterstützung - ob finanziell, in Form von Sachspenden oder durch rein mentale Unterstützung. Gelegenheit zur praktischen Arbeit findet sich auch beim Reinigen der Gehege oder bei der Anlage des Lebensraum-Gartens oder bei Arbeiten zur Lebensraum-Verbesserung hier auf dem eigenen Gelände. Gerne kann auch in verschiedenen Projekten unterstützt werden, die im Rahmen der Wildtierforschung laufen.

Ich danke Euch für Euer Verständnis :-)

 

Original-Text: hier auf